Pas de probleme – Guzzi Urlaub (fast) ohne Hindernisse
Verfasst: Mo 2. Jun 2008, 09:22
Am Ende ist doch noch alles pünktlich fertig geworden – und das nicht nur auf meinem Schreibtisch: Luigi war mal richtig schnell und hat die dringend benötigte Licht-Schaltereinheit flott aus Italien geschickt, der beste Ehemann von allen hat sie gestern noch montiert. Jetzt sitzen wir entspannt im Zug nach Narbonne, die V 11 und Michaels BMW (noch ein Zweiventiler!) sind sicher verzurrt. Im Gepäck haben wir Karten und Reiseführer; wir möchten Kurven jagen in den Cevennen, im Katharerland die windumtosten alten Burgen auf den Felszinnen sehen und die Pyrenäen-Pässe wollen wir von der französischen (Languedoc) und der nordspanischen Seite (Katalonien) her erobern. Nichts haben wir vorgebucht, es ist Vorsaison! Drei Wochen lang sind wir vogelfrei.
Dass es mehr als drei Wochen werden würden, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Nabonne empfängt uns am 1. Mai mit 25 Grad, Sonne und leichtem Wind - prima Guzziwetter! Wir haben eine entspannte Nacht hinter uns und bollern gleich los auf der D 609 Richtung Cevennen, um nach ein paar Kilometern ins Örtchen Nissan abzubiegen. Die Mopeds parken wir direkt vor dem einfachen Restaurant, lassen uns in der Sonne das Mittagsmenü (drei Gänge) servieren und besehen uns dabei das bunte Treiben auf dem Platz: Palavert wird mit Händen und Füßen – wir können nur wenig französisch – pas de probleme.
Gefrühschoppt wird mit Pastis und Rotwein, man bietet uns auch davon an. Bienvenu en France! Wir bleiben aber beim Wasser, denn es gibt noch Arbeit: Die Guzzi will durch etliche Kurven und Kehren in den Cevennen gewuchtet werden. Und wir brauchen eine schöne Unterkunft für die nächsten Tage.
Die finden wir in Le Vigan an den südlichen Ausläufern: ein mediterraner, charmanter Ort mit perfekter Ausgangsposition für viele reizvolle Touren, darunter auf den schneekalten Mont Aigoual, zum unglaublichen Cirque de Navacelles, zur anbetungswürdigen Corniche des Cevennes, zu den atemberaubenden Gorges du Tarn oder zur faszinierende Brücke (Viaduc) von Millau. Die weltweit höchste Brücke spannt sich 343 Meter hoch über den Tarn und ist ein ästhetischer Genuss.
Dass wir das Werk von Norman Foster bestimmungsgemäß benutzen würden, konnten wir da noch nicht wissen!

Die Guzzi ist gerannt wie ein Pitschendopp (so sagt man im Ruhrgebiet für Kreisel) – pas de probleme!
Carcassonne, die mittelalterliche Festungsstadt, grüßt uns schon mit dräuend dunklen Wolken über ihren gewaltigen zinnen- und turmbewehrten Mauern. Wir fühlen uns ins Mittelalter versetzt – doch da gab’s noch kein Internet. Und so wissen wir aber, dank wetteronline und meteofrance – dass der dicke Regen ganz gewiss kommt. Pas de probleme!
Wir haben reichlich Zeit, über die Kurvenpiste an der Steilküste der Cote Vermeille nach Nordspanien zu verschwinden. Cadaques ist nur durch ein schmales und kurviges Sträßchen zu erreichen und wahrscheinlich der einzige Costa-Brava-Ort ohne eine einzige Bettenburg. Hier hat Dali mit seiner Gala gelebt, und wir lassen es uns auch gut gehen mit bausündenfreiem Blick auf die Bucht: Tapas mit viel frischem Fisch, Piementos, Oliven, Brot und Wein, aus dem man die Sonne schmeckt. Und der 98-Oktan-Sprit kosten auch nur 1,16 – soll die Guzzi doch auch was vom Urlaub haben. Pas de probleme!
Das (sehenswerte) Dali-Museum in Figueres besuchen wir noch im prallen Sonnenschein. Motorradfahrer können direkt vor diesem auffälligen Bau mit den riesigen weißen Eiern auf dem Dach parken.
Doch dank Internet wissen wir: Die nächste Regenfront marschiert schon an. Und es wird mal wieder höchste Zeit, dem feuchten Segen davonzufahren. Diesmal müssen wir aber mindestens rauf bis nach Montpellier: Pyrenäen hin oder her - wir wollen Sonne, wir wollen Motorrad fahren. Und nicht aus dem Hotelfenster auf den nebelverhangenen Canigou im Regen gucken. Pas de probleme!
Wir landen in der altertümlich anmutenden Kleinstadt Sommiere zwischen Montpellier und Nimes im lieblichen Gard. Französischer geht es kaum: Man sitzt und speist am Ufer des Vidourle, bummelt über den Markt, der samstags mit den Köstlichkeiten der Region aufwartet. Wer mag, holt sich einen paar Käse-Sorten oder lässt sich ein paar Austern gleich am Stand knacken und in der Bar nebenan einen Blanc dazu servieren. Und während ich noch so überlege ob ich Muscheln oder Käse nehme, sehe ich eine schöne V 11 Le Mans mit französischem Kennzeichen unter einem der mittelalterlichen Brückenbögen parken. Was für ein Idyll!
Über Pfingsten sind alle Hotels ausgebucht, aber pas de probleme! Wir haben ein Privatzimmer, ein chambre d’hote gefunden, in einem schönen alten Gehöft auf einem parkähnlichen Grundstück. Mit Pool. Die Mopeds schlafen in der geräumigen Garage und die Madame bemüht sich wirklich, es uns nett zu machen: Der Duft ihres frisch gebackenen Hefekuchens lockt uns jeden Morgen zum Frühstück – und selbst gemachte Marmelade gibt es auch. Von Sommiere aus kann man in die Camargue fahren, den Pont du Gard, das beeindruckende Römerviadukt besuchen – und ich kann es einfach nicht lassen, nach Ledenon abzubiegen, um einfach mal zu gucken, wo einige mir bekannte Guzzisten angelegentlich an ihrer Schräglage arbeiten. Der ältere Herr, der am Tor Dienst schiebt, drückte mir nicht nur einen Prospekt über die Rennstrecke in die Hand, sondern wir unterhalten uns noch sehr angeregt über seine Kindheit. Die er im Schwarzwald verlebte.

Wenn man will, liegt sie ständig auf dem Weg, die Corniche! Da trifft man wochenends Einheimische auf ihrer Hausstrecke. Der typische französische Motorradfahrer ist zumeist unter 30, männlich, hat selten weniger als vier Zylinder unter’m Hintern und aus den Hurra-Tüten dröhnt ein Geräusch, das einen braven deutschen Tüv-Ingenieur an den Rand eines Hörsturzes bringt. Wenn sie vorbeibrettern, grüßen sie freundlich durch das Ausstrecken einer der beiden jeansbehosten unteren Extremitäten – manchmal hängt nur ein Stoffschuh dran. Nicht selten klebt ihm eine Sozia im Rücken, und ich stelle mir seine Antwort auf den Anschiss, der beim nächsten Stop wahrscheinlich auf ihn wartet, etwa so vor: „Abärrrr Cheriiie, gessstörn kam mir in die Kürv’ auch nischts entgägänn…“ Pas de Probleme?
Wir haben einen tollen Urlaub, doch ein Pyrenäenurlaub ist es bisher nicht. In den Bergen hängt immer noch ein fettes Tiefdruckgebiet. Wir versuchen es noch einmal in den Corbieren, am Fuß der Pyrenäen, südlich von Carcassonne, westlich von Perpignan. Die V 11 macht mir hier viel Freude, bollert durch die Schluchten und lässt sich locker durch die Kurven schwingen. Doch gäbe ich auf den Knüppelstrecken hier was für mehr Federweg. Auf unbefestigtem Grund muss ich aufpassen: Bei meinen knapp 1,65 sind die Beine schnell mal zu kurz. Und 50 Kilo weniger (bei der Guzzi!) wären auch nicht schlecht, dann müsste ich in den ganz engen Ecken nicht so schuften. Zum Beispiel auf dem Serpentinensträßchen rauf zur Katharerburg Peyrepertuse. Mit Gepäck ist das wirklich Schwerstarbeit für mich. Wir sehen zu, dass wir’s loswerden und erkunden noch tagelang die Gegend.

Die Galamus-Schlucht ist nur ein Highlight, schon ein Blick auf die Landkarte zeigt: Es knäulen sich hier so viele kurvenreiche Sträßchen auf engsten Raum, dass man noch mehrmals wiederkommen könnte, ohne sich eine Minute auf dem (rauen) Asphalt zu langweilen. Pas de probleme!

Vorletzter Abend, wir bollern gerade heimwärts. Ein längerer Trip hat uns nachmittags noch über den Ort Tautavel gebracht hat, wo man in einem vorgeschichtlichen Museum das Leben einer Menschenart vor 450 000 Jahren verfolgen kann. So alt ist nämlich der Schädel, den man zufällig dort 1971 in einer Höhle gefunden hat.
Michael und ich tauschen nach kleiner Kurvendiskussion kurz die Untersätze, weil ich der Meinung bin, dass die Gabel vorne etwas weich ist. Man sollte seine V 11 nicht verleihen: Drei Gabelklicks später wird es hinten ziemlich weich: Ich habe mir eine Schraube ins Hinterrad gefahren. Zum Hotel nach Cucugnan (113 Einwohner) schaffen wir’s noch gerade so, dann steht die Dicke fast auf der Felge.
Nur noch einen Tag bis zum Autoreisezug nach Narbonne! Am nächsten Morgen besorgen die gelben Engel zwar schnell einen passenden Reifen, aber der steht in Perpignan. Wie zum Hohn ist am letzten Urlaubstag der Himmel wie blankgefegt. Und ich soll irgendwie den Reifen wechseln anstatt zu guzzeln!
Beim Frühstück haben wir unserem Hotelwirt und Koch - der allmorgendlich mit seiner Honda vorfährt - den Plattfuß gezeigt. Und soviel habe ich mit meinem noch rudimentär vorhandenen Schulfranzösisch kapiert: Er hat da einen Kumpel, der kann das flicken und der würde bestimmt sofort – pas de probleme! Ein Telefonat, und der Kumpel kommt. Und macht. Und das offensichtlich nicht zum ersten Mal: Polkt die drei Zentimeter lange Schraube aus dem Reifen, fummelt eine zu einem Streifen gepresste, klebrige Masse durch eine Ahle, stopft diese in den Reifen und zieht sie wieder raus, schneidet die pappigen Enden ab. Einen Kompressor hat er rein zufällig auch im Sprinter dabei und pumpt die vorschriftsmäßigen 2,6 ins gerippte Gummi: Und damit, so bedeutet er mir, könnte ich nun fahren, bis der Arzt kommt. Das alles dauert nicht mal so lange, wie ich gerade zum Tippen der letzten 23 Zeilen gebraucht habe.
Erst bin ich 50 km gefahren: Die Frisur sitzt, die Luft hält. Dann 150: Die Frisur hält nicht – aber der Reifendruck. Man muss Prioritäten setzten.
Es ist noch ein sehr schöner letzter Tag geworden. Über Pässe mit freiem Blick auf den Pic du Canigou, den heiligen Berg der Katalanen (eine Art Kilimandscharo des Languedoc) und andere schneebedeckte Gipfel. Über die Hochebene Cerdagne, wo ich mir die Hände an den Zylindern wärmen muss. Pas de probleme! Bis wir abends dann erfahren, dass die französischen Eisenbahner streiken. Und der Autoreisezug nicht fährt. Heute nicht, morgen nicht, und am Wochenende auch nicht. Außerdem gibt’s kaum noch Sprit, weil der Streik auch den Nachschub für die Tankstellen im Süden behindert. Pas de probleme: Unser Koch weiß, welches Kaff noch Benzin hat: Wir tanken am nächsten Tag in Tuchan für 1,69 Euro pro Liter. Die Nachfrage bestimmt den Preis.
Der Reifendruck ist unverändert: Pas de probleme – wenn’s bloß noch die nächsten 1400 Kilometer so bleibt…
Narbonne liegt für uns auf dem Weg in die Heimat, also bollern wir noch am Bahnhof vorbei. Wohl bedenkend, dass eine ehemalige Behörde womöglich auf einem Stempel beharren könnte, wenn man später Forderungen stellt. Der bemühte Mitarbeiter drückt uns auch wirklich etwas hektisch einen vorbereiteten Formbrief in die Hand und murmelt was von „… muss noch mit dem Präsi reden.“ Draußen hat sich inzwischen ein skandinavischer Harley-Club aufgebaut: ein Dutzend tätowierter Hünen, alle mit Kutte. Die Nordmänner haben soeben erfahren, dass jetzt nicht Abhängen im Zug, sondern richtig Kilometer fressen angesagt ist. Aber sie nehmen es mit südländischer Gelassenheit. Der Präsi, ein freundlicher, kultivierter Mensch, erzählt mir, dass ein paar von seiner Truppe bis nach Nordschweden müssten. Und dass man jetzt versuchen werde, in zwei, drei Tagen die Fähre in Travemünde zu erreichen. Pas de probleme! Auf der Autobahn geht’s wenigstens geradeaus, das kommt dem Apehanger entgegen. Mich hat die dicke Elfe in den letzten Tagen zwar auch ordentlich durchgeschüttelt, aber so ein Starrrahmen verwöhnt sicher auch nicht gerade die Bandscheiben.
Wir haben schwarz auf weiß, dass die Deutsche Bahn uns die Kosten für die nicht angetretene Rückreise erstattet, und so machen wir uns die ungeplante Rückfahrt möglichst bequem: Verteilen sie auf drei Tage, fahren viel auf Landstraßen. Die Autobahn-Brücke von Millau nehmen wir aber mit: Allein das Erlebnis, auf den harfenähnliche Brückenaufbau zuzufahren, der sich wie ein Riesenfächer silbrig gegen den azurblauen Himmel abhebt, ist die Maut von 3,60 pro Motorrad wert. Der Ausblick, den man rechts ins Tal erhaschen kann, ist grandios. Die ganze Strecke der A 75 vom Süden bis Clermont-Ferrand ist übrigens mautfrei – und kilometerweit verläuft sie 1000 Meter über dem Meeresspiegel
Wir bollern gemütlich durch die Auvergne und die Lorraine, lassen das französische savoir vivre noch bei zwei abendlichen Restaurantbesuchen auf uns wirken und düsen nach einer letzten Nacht in Frankreich durch die Eifel nach Hause ins Ruhrgebiet.
Und der Reifen hält immer noch die Luft an.
Was zu beweisen war: Die V 11 ist ein Sporttourer. Fast 5000 schöne Tourenkilometer mit der Guzzi? Pas de probleme!
Bettina
PS: Ich darf nicht vergessen, dem Koch eine Karte zu schicken. Und mir einen neuen Hinterreifen zu bestellen!
Dass es mehr als drei Wochen werden würden, konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Nabonne empfängt uns am 1. Mai mit 25 Grad, Sonne und leichtem Wind - prima Guzziwetter! Wir haben eine entspannte Nacht hinter uns und bollern gleich los auf der D 609 Richtung Cevennen, um nach ein paar Kilometern ins Örtchen Nissan abzubiegen. Die Mopeds parken wir direkt vor dem einfachen Restaurant, lassen uns in der Sonne das Mittagsmenü (drei Gänge) servieren und besehen uns dabei das bunte Treiben auf dem Platz: Palavert wird mit Händen und Füßen – wir können nur wenig französisch – pas de probleme.
Gefrühschoppt wird mit Pastis und Rotwein, man bietet uns auch davon an. Bienvenu en France! Wir bleiben aber beim Wasser, denn es gibt noch Arbeit: Die Guzzi will durch etliche Kurven und Kehren in den Cevennen gewuchtet werden. Und wir brauchen eine schöne Unterkunft für die nächsten Tage.
Die finden wir in Le Vigan an den südlichen Ausläufern: ein mediterraner, charmanter Ort mit perfekter Ausgangsposition für viele reizvolle Touren, darunter auf den schneekalten Mont Aigoual, zum unglaublichen Cirque de Navacelles, zur anbetungswürdigen Corniche des Cevennes, zu den atemberaubenden Gorges du Tarn oder zur faszinierende Brücke (Viaduc) von Millau. Die weltweit höchste Brücke spannt sich 343 Meter hoch über den Tarn und ist ein ästhetischer Genuss.
Dass wir das Werk von Norman Foster bestimmungsgemäß benutzen würden, konnten wir da noch nicht wissen!

Die Guzzi ist gerannt wie ein Pitschendopp (so sagt man im Ruhrgebiet für Kreisel) – pas de probleme!
Carcassonne, die mittelalterliche Festungsstadt, grüßt uns schon mit dräuend dunklen Wolken über ihren gewaltigen zinnen- und turmbewehrten Mauern. Wir fühlen uns ins Mittelalter versetzt – doch da gab’s noch kein Internet. Und so wissen wir aber, dank wetteronline und meteofrance – dass der dicke Regen ganz gewiss kommt. Pas de probleme!
Wir haben reichlich Zeit, über die Kurvenpiste an der Steilküste der Cote Vermeille nach Nordspanien zu verschwinden. Cadaques ist nur durch ein schmales und kurviges Sträßchen zu erreichen und wahrscheinlich der einzige Costa-Brava-Ort ohne eine einzige Bettenburg. Hier hat Dali mit seiner Gala gelebt, und wir lassen es uns auch gut gehen mit bausündenfreiem Blick auf die Bucht: Tapas mit viel frischem Fisch, Piementos, Oliven, Brot und Wein, aus dem man die Sonne schmeckt. Und der 98-Oktan-Sprit kosten auch nur 1,16 – soll die Guzzi doch auch was vom Urlaub haben. Pas de probleme!
Das (sehenswerte) Dali-Museum in Figueres besuchen wir noch im prallen Sonnenschein. Motorradfahrer können direkt vor diesem auffälligen Bau mit den riesigen weißen Eiern auf dem Dach parken.
Doch dank Internet wissen wir: Die nächste Regenfront marschiert schon an. Und es wird mal wieder höchste Zeit, dem feuchten Segen davonzufahren. Diesmal müssen wir aber mindestens rauf bis nach Montpellier: Pyrenäen hin oder her - wir wollen Sonne, wir wollen Motorrad fahren. Und nicht aus dem Hotelfenster auf den nebelverhangenen Canigou im Regen gucken. Pas de probleme!
Wir landen in der altertümlich anmutenden Kleinstadt Sommiere zwischen Montpellier und Nimes im lieblichen Gard. Französischer geht es kaum: Man sitzt und speist am Ufer des Vidourle, bummelt über den Markt, der samstags mit den Köstlichkeiten der Region aufwartet. Wer mag, holt sich einen paar Käse-Sorten oder lässt sich ein paar Austern gleich am Stand knacken und in der Bar nebenan einen Blanc dazu servieren. Und während ich noch so überlege ob ich Muscheln oder Käse nehme, sehe ich eine schöne V 11 Le Mans mit französischem Kennzeichen unter einem der mittelalterlichen Brückenbögen parken. Was für ein Idyll!
Über Pfingsten sind alle Hotels ausgebucht, aber pas de probleme! Wir haben ein Privatzimmer, ein chambre d’hote gefunden, in einem schönen alten Gehöft auf einem parkähnlichen Grundstück. Mit Pool. Die Mopeds schlafen in der geräumigen Garage und die Madame bemüht sich wirklich, es uns nett zu machen: Der Duft ihres frisch gebackenen Hefekuchens lockt uns jeden Morgen zum Frühstück – und selbst gemachte Marmelade gibt es auch. Von Sommiere aus kann man in die Camargue fahren, den Pont du Gard, das beeindruckende Römerviadukt besuchen – und ich kann es einfach nicht lassen, nach Ledenon abzubiegen, um einfach mal zu gucken, wo einige mir bekannte Guzzisten angelegentlich an ihrer Schräglage arbeiten. Der ältere Herr, der am Tor Dienst schiebt, drückte mir nicht nur einen Prospekt über die Rennstrecke in die Hand, sondern wir unterhalten uns noch sehr angeregt über seine Kindheit. Die er im Schwarzwald verlebte.

Wenn man will, liegt sie ständig auf dem Weg, die Corniche! Da trifft man wochenends Einheimische auf ihrer Hausstrecke. Der typische französische Motorradfahrer ist zumeist unter 30, männlich, hat selten weniger als vier Zylinder unter’m Hintern und aus den Hurra-Tüten dröhnt ein Geräusch, das einen braven deutschen Tüv-Ingenieur an den Rand eines Hörsturzes bringt. Wenn sie vorbeibrettern, grüßen sie freundlich durch das Ausstrecken einer der beiden jeansbehosten unteren Extremitäten – manchmal hängt nur ein Stoffschuh dran. Nicht selten klebt ihm eine Sozia im Rücken, und ich stelle mir seine Antwort auf den Anschiss, der beim nächsten Stop wahrscheinlich auf ihn wartet, etwa so vor: „Abärrrr Cheriiie, gessstörn kam mir in die Kürv’ auch nischts entgägänn…“ Pas de Probleme?
Wir haben einen tollen Urlaub, doch ein Pyrenäenurlaub ist es bisher nicht. In den Bergen hängt immer noch ein fettes Tiefdruckgebiet. Wir versuchen es noch einmal in den Corbieren, am Fuß der Pyrenäen, südlich von Carcassonne, westlich von Perpignan. Die V 11 macht mir hier viel Freude, bollert durch die Schluchten und lässt sich locker durch die Kurven schwingen. Doch gäbe ich auf den Knüppelstrecken hier was für mehr Federweg. Auf unbefestigtem Grund muss ich aufpassen: Bei meinen knapp 1,65 sind die Beine schnell mal zu kurz. Und 50 Kilo weniger (bei der Guzzi!) wären auch nicht schlecht, dann müsste ich in den ganz engen Ecken nicht so schuften. Zum Beispiel auf dem Serpentinensträßchen rauf zur Katharerburg Peyrepertuse. Mit Gepäck ist das wirklich Schwerstarbeit für mich. Wir sehen zu, dass wir’s loswerden und erkunden noch tagelang die Gegend.

Die Galamus-Schlucht ist nur ein Highlight, schon ein Blick auf die Landkarte zeigt: Es knäulen sich hier so viele kurvenreiche Sträßchen auf engsten Raum, dass man noch mehrmals wiederkommen könnte, ohne sich eine Minute auf dem (rauen) Asphalt zu langweilen. Pas de probleme!

Vorletzter Abend, wir bollern gerade heimwärts. Ein längerer Trip hat uns nachmittags noch über den Ort Tautavel gebracht hat, wo man in einem vorgeschichtlichen Museum das Leben einer Menschenart vor 450 000 Jahren verfolgen kann. So alt ist nämlich der Schädel, den man zufällig dort 1971 in einer Höhle gefunden hat.
Michael und ich tauschen nach kleiner Kurvendiskussion kurz die Untersätze, weil ich der Meinung bin, dass die Gabel vorne etwas weich ist. Man sollte seine V 11 nicht verleihen: Drei Gabelklicks später wird es hinten ziemlich weich: Ich habe mir eine Schraube ins Hinterrad gefahren. Zum Hotel nach Cucugnan (113 Einwohner) schaffen wir’s noch gerade so, dann steht die Dicke fast auf der Felge.
Nur noch einen Tag bis zum Autoreisezug nach Narbonne! Am nächsten Morgen besorgen die gelben Engel zwar schnell einen passenden Reifen, aber der steht in Perpignan. Wie zum Hohn ist am letzten Urlaubstag der Himmel wie blankgefegt. Und ich soll irgendwie den Reifen wechseln anstatt zu guzzeln!
Beim Frühstück haben wir unserem Hotelwirt und Koch - der allmorgendlich mit seiner Honda vorfährt - den Plattfuß gezeigt. Und soviel habe ich mit meinem noch rudimentär vorhandenen Schulfranzösisch kapiert: Er hat da einen Kumpel, der kann das flicken und der würde bestimmt sofort – pas de probleme! Ein Telefonat, und der Kumpel kommt. Und macht. Und das offensichtlich nicht zum ersten Mal: Polkt die drei Zentimeter lange Schraube aus dem Reifen, fummelt eine zu einem Streifen gepresste, klebrige Masse durch eine Ahle, stopft diese in den Reifen und zieht sie wieder raus, schneidet die pappigen Enden ab. Einen Kompressor hat er rein zufällig auch im Sprinter dabei und pumpt die vorschriftsmäßigen 2,6 ins gerippte Gummi: Und damit, so bedeutet er mir, könnte ich nun fahren, bis der Arzt kommt. Das alles dauert nicht mal so lange, wie ich gerade zum Tippen der letzten 23 Zeilen gebraucht habe.
Erst bin ich 50 km gefahren: Die Frisur sitzt, die Luft hält. Dann 150: Die Frisur hält nicht – aber der Reifendruck. Man muss Prioritäten setzten.
Es ist noch ein sehr schöner letzter Tag geworden. Über Pässe mit freiem Blick auf den Pic du Canigou, den heiligen Berg der Katalanen (eine Art Kilimandscharo des Languedoc) und andere schneebedeckte Gipfel. Über die Hochebene Cerdagne, wo ich mir die Hände an den Zylindern wärmen muss. Pas de probleme! Bis wir abends dann erfahren, dass die französischen Eisenbahner streiken. Und der Autoreisezug nicht fährt. Heute nicht, morgen nicht, und am Wochenende auch nicht. Außerdem gibt’s kaum noch Sprit, weil der Streik auch den Nachschub für die Tankstellen im Süden behindert. Pas de probleme: Unser Koch weiß, welches Kaff noch Benzin hat: Wir tanken am nächsten Tag in Tuchan für 1,69 Euro pro Liter. Die Nachfrage bestimmt den Preis.
Der Reifendruck ist unverändert: Pas de probleme – wenn’s bloß noch die nächsten 1400 Kilometer so bleibt…
Narbonne liegt für uns auf dem Weg in die Heimat, also bollern wir noch am Bahnhof vorbei. Wohl bedenkend, dass eine ehemalige Behörde womöglich auf einem Stempel beharren könnte, wenn man später Forderungen stellt. Der bemühte Mitarbeiter drückt uns auch wirklich etwas hektisch einen vorbereiteten Formbrief in die Hand und murmelt was von „… muss noch mit dem Präsi reden.“ Draußen hat sich inzwischen ein skandinavischer Harley-Club aufgebaut: ein Dutzend tätowierter Hünen, alle mit Kutte. Die Nordmänner haben soeben erfahren, dass jetzt nicht Abhängen im Zug, sondern richtig Kilometer fressen angesagt ist. Aber sie nehmen es mit südländischer Gelassenheit. Der Präsi, ein freundlicher, kultivierter Mensch, erzählt mir, dass ein paar von seiner Truppe bis nach Nordschweden müssten. Und dass man jetzt versuchen werde, in zwei, drei Tagen die Fähre in Travemünde zu erreichen. Pas de probleme! Auf der Autobahn geht’s wenigstens geradeaus, das kommt dem Apehanger entgegen. Mich hat die dicke Elfe in den letzten Tagen zwar auch ordentlich durchgeschüttelt, aber so ein Starrrahmen verwöhnt sicher auch nicht gerade die Bandscheiben.
Wir haben schwarz auf weiß, dass die Deutsche Bahn uns die Kosten für die nicht angetretene Rückreise erstattet, und so machen wir uns die ungeplante Rückfahrt möglichst bequem: Verteilen sie auf drei Tage, fahren viel auf Landstraßen. Die Autobahn-Brücke von Millau nehmen wir aber mit: Allein das Erlebnis, auf den harfenähnliche Brückenaufbau zuzufahren, der sich wie ein Riesenfächer silbrig gegen den azurblauen Himmel abhebt, ist die Maut von 3,60 pro Motorrad wert. Der Ausblick, den man rechts ins Tal erhaschen kann, ist grandios. Die ganze Strecke der A 75 vom Süden bis Clermont-Ferrand ist übrigens mautfrei – und kilometerweit verläuft sie 1000 Meter über dem Meeresspiegel
Wir bollern gemütlich durch die Auvergne und die Lorraine, lassen das französische savoir vivre noch bei zwei abendlichen Restaurantbesuchen auf uns wirken und düsen nach einer letzten Nacht in Frankreich durch die Eifel nach Hause ins Ruhrgebiet.
Und der Reifen hält immer noch die Luft an.
Was zu beweisen war: Die V 11 ist ein Sporttourer. Fast 5000 schöne Tourenkilometer mit der Guzzi? Pas de probleme!
Bettina
PS: Ich darf nicht vergessen, dem Koch eine Karte zu schicken. Und mir einen neuen Hinterreifen zu bestellen!